JOSÉ AVILLeZ LEBT UND KOCHT IN LISSABON
Als einziger portugiesischer Zweisternekoch des Landes ist José Avillez in seinem Heimatland eine Berühmtheit. Neben seinem Vorzeigerestaurant Belcanto hat er mittlerweile fünf weitere Restaurants in Lissabon eröffnet. Inspiration für neue Gerichte findet er auf seinen zahlreichen Reisen – seine Liebe aber gilt der Stadt am Tejo. Mit BOX IN A SUITCASE hat José Avillez über die schönsten Seiten Lissabons gesprochen.
Was inspiriert Dich an Lissabon?
Lissabon ist eine große Inspiration für mich, das Licht, die Schatten die es wirft, die Menschen, die hier im Hafen arbeiten, die Maler, die Schriftsteller. Manchmal inspiriert mich alles um mich herum – aber es gibt auch Zeiten in denen es mir schwer fällt, mich von meiner Umgebung inspirieren zu lassen. Es hängt immer sehr davon ab, ob ich gerade offen dafür bin, etwas Neues auszuprobieren.
Du bist beruflich viel im Ausland – weshalb hast Du Dich entschieden trotzdem hier zu leben?
Das hier ist mein Land. Meine Stadt. Ich bin in der Nähe von Lissabon am Meer aufgewachsen. Wenn man Gerichte kreiert und moderne Küche kocht, dann muss das Ganze eine Seele haben, man sollte sich darüber bewusst sein, was man da eigentlich tut und alle meine Kindheitserinnerungen, an die verschiedenen Gerichte, die meiner Großmutter und meiner Mutter, die der verschiedenen Restaurants, die würden mir fehlen, wenn ich irgendwo anders auf dieser Welt arbeiten würde. Es wäre einfach alles ganz anders. Alles was mein Land mir gibt, versuche ich in meinen Gerichten zu reproduzieren, in meine Arbeit einfließen zu lassen.
Wie ist es Lissabon während der Krise ergangen – und welchen Einfluss hatte Sie auf Deine Arbeit?
Portugal hat eine große Krise durchgemacht, es war eines der Länder in Europa die am stärksten betroffen waren. Ich habe mit meinen ganzen Projekten angefangen, als Portugal gerade mitten in dieser Krise steckte. Das war eine schwierige Zeit, aber gerade deshalb haben sich uns auch einige Möglichkeiten eröffnet, die uns sonst verschlossen geblieben wären. Zum Beispiel konnten wir zu guten Konditionen Räume mieten. Dank der Krise hat sich in den letzten Jahren geradezu ein Tourismus-Boom entwickelt, das hat uns ebenfalls geholfen zu wachsen.
Wohin wird sich Lissabon entwickeln?
Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird auch der Tourismus wachsen. Wichtig ist, dass wir dennoch versuchen unsere Identität zu bewahren, ich denke das ist es auch was die Besucher Lissabons sich wünschen. Sie mögen diese originalen Plätze. Wir haben großartiges Essen, tolles Wetter, liebenswerte Menschen – und wir Portugiesen geben nicht auf, auf keinen Fall.
Was ist das Besondere an der portugiesischen Mentalität?
Die Portugiesen sind großartig. Wir geben uns mit allem viel Mühe, versuchen die Sprache der Leute zu sprechen, wir adaptieren gut und sind in der Lage mit Schwierigkeiten umzugehen. Gerade die jungen Leute reisen viel, sind offen für Neues. Deshalb werden in der Zukunft auch noch viel mehr Portugiesen in der ganzen Welt für ihre Arbeit bekannt werden!
Das Rezept der Portugiesen ist es also, in der Fremde zu lernen, dann zurückzukommen und hier das neugewonnene Wissen umzusetzen?
Genau. Ich denke wir werden auch künftig viel reisen, damit noch mehr Menschen davon hören, was wir wir Portugiesen für kreative Projekte zu bieten haben. Reisen ermöglicht es uns außerhalb unseres Landes Neues zu lernen, und mit diesem Wissen nach unserer Rückkehr Lissabon in einen noch lebenswerten Platz zu verwandeln. Es gibt schon viele Leute die hier gerade Wohnungen kaufen und drei, vier Monate im Jahr hier leben.
Was liebst Du am meisten an Lissabon?
Es ist sehr schwierig sich auf eine Sache festzulegen. Die Menschen, die hier leben, sind etwas ganz Besonderes und natürlich gibt es hier auch dieses einmalige Licht, in das die Stadt getaucht und für das Lissabon berühmt ist. Was mir auch sehr gefällt, ist der Mix aus Tradition, Klassik und Moderne der sich hier finden lässt.
Wo werden in Lissabon neue Impulse gesetzt?
Nicht unbedingt in der Architektur, die ist nicht wirklich neu, aber die Dynamik der Stadt ist sehr jung und kreativ, ich finde man kann Lissabon mit Istanbul vergleichen – aber wir sind lockerer, lachen mehr!
Also ist die Saudade, die portugiesische Traurigkeit nur ein Klischeé?
Dass nicht, die Saudade gibt es natürlich wirklich. Sie gehört zu unserer Identität, genau wie der Fado, beides ist Teil unserer Sprache. Aber nach und nach werden die Portugiesen immer glücklicher und offener, auch wenn ich denke, dass introvertiert zu sein und darüber nachzudenken, was mit einem passiert, auch nicht gerade das Schlechteste auf der Welt ist! Ich denke wir sind sehr ehrlich zu uns selbst und wir sind Latinos – wir müssen uns einfach ausdrücken, im Guten wie im Schlechten! Aber wir sind nicht verschlossen, wir lieben es Gäste zu haben. Die Ausländer, die hier leben, behandeln wir wie Portugiesen, wir machen da keine Unterschiede.
Wie verleihst Du dieser vielseitigen Innerlichkeit die Du da beschrieben hast Ausdruck?
Für mich ist das Kochen ein Weg, um mich selbst auszudrücken, dadurch kommuniziere ich mit anderen Menschen. Ich denke, ich zeige so meine Leidenschaft fürs Kochen, meine Gerichte zeugen davon, wie viel Freude es mir bereitet, andere Menschen glücklich zu machen, aber sie erzählen auch von meiner Geschichte, davon, was ich alles entdeckt habe und sie berichten von Traditionen. Sie sind Teil des portugiesischen Erbes, sie erzählen von Entdeckungen, die meine Landsleute vor hunderten von Jahren gemacht haben.
Was wünscht Du Lissabon für seine Zukunft?
Ich wünsche der Stadt, dass sie so weitermacht, wie bisher. Und dass sie zeigen kann was sie zu bieten hat, ohne sich dabei verbiegen zu müssen. Dass es ihr gelingt, authentisch zu bleiben.