Wim Wenders ist schon längst wieder mitten in der Arbeit an seinem nächsten Projekt, als ich den Regisseur zum Interview treffe, um mit ihm über seinen Film Die schönen Tage von Aranjuez zu sprechen. Wenders trägt weißes Hemd, Hosenträger, eine blaue Brille, und ist sichtlich guter Laune, als er uns die Tür öffnet. Entspannt überlässt er uns den kleinen Schnittraum, ein ehemaliges Ladengeschäft in Berlin Mitte, dessen Wände noch die gemusterten Kacheln der Vorbesitzer zieren, damit mein Kamerateam das Interview vorbereiten kann. Als er zurückkommt, setzt er sich an den dunklen Holztisch und greift direkt nach dem Apfel, den wir ihm mitgebracht haben, weil der Apfel in Die schönen Tage von Aranjuez eine wichtige Nebenrolle spielt.
Wim Wenders: Darf ich den nehmen?
Na klar. Herr Wenders, ihr neuer film, die schönen Tage von Aranjuez, die verfilmung eines theaterstücks von peter handke, spielt in einem sehr reduzierten Setting. Ein Mann und eine Frau sitzen in einem Garten und unterhalten sich. zwischen ihnen liegt ein apfel. ansonsten geschieht nicht viel. Was hat sie daran gereizt, gerade eine so reduzierte Geschichte in 3D zu erzählen?
Wim Wenders: Das ist zwar reduziert, unsere Location ist nur ein Garten, aber was für einer. Von Sarah Bernhardt noch selbst angelegt, mit dem Blick auf die Île-de-France und am Horizont Paris, es gibt nicht viele solcher Gärten auf der Welt. Ein Garten, und in diesem ein Haus, das zu dem Garten gehört, ein Tag, der wirkt wie ein ewiger Sommer, ein Mann, eine Frau, ein weiterer Mann, in seinem Zimmer, der rausguckt und die beiden sieht, und das schreibt, was die beiden sagen. Entweder sagen sie das, was er schreibt, oder sie sagen es ihm vor und er schreibt es nach. Man weiß nicht so genau, wie so ein Schriftsteller funktioniert, wenn er sich seine Leute vorstellt. Reden sie was er will, oder reden sie was sie wollen und er schreibt es dann? Das ist ja eine Streitfrage. Aber es ist tatsächlich sehr reduziert und es hat mir deswegen so super gut gefallen, weil in diesem Dialog ja was abgeht. Da geht es ja um Leben und Tod, da geht es ja um alles was zwischen Mann und Frau verhandelt werden kann: Sex, Älter werden, Erinnerung, die Natur und Gott weiß was alles. Da geht so viel ab, dass ich gedacht habe, da braucht man jetzt nicht noch groß Action machen. Es passiert in diesem Dialog zwischen Mann und Frau genug.
https://www.youtube.com/watch?v=Zf9mAvgHSBI
In dem film entspinnt sich ein Dialog, der so in der Realität nur noch selten stattfindet. Dass eine Frau und ein Mann so lange und so intensiv miteinander reden, die kein paar sind und es in ihrem gespräch wirklich um etwas geht – viele müssten wahrscheinlich erstmal lange darüber nachdenken, wann sie das letzte Mal so ein Gespräch geführt haben …. Weshalb ist es so reizvoll und auch so wichtig, einen Dialog zwischen Mann und Frau in den Mittelpunkt eines Filmes zu stellen?
Wim Wenders: Ich finde schon, dass das Kino den Dialog ziemlich vernachlässigt hat. Ein wirkliches Gespräch zwischen Mann und Frau, wo es ans Eingemachte geht. Überhaupt sieht man nur noch wenig Filme, wo richtig was verhandelt wird, wo es um etwas geht. Im Gespräch. Es geht meistens um Aktion, aber im Gespräch geht es nicht mehr so oft wirklich um etwas. Ich finde das Kino ist ein wunderbares Medium um gerade das auszuloten, was zu oft im Leben sonst unausgesprochen bleibt. Die beiden trauen sich was. Diese Frau, dieser Mann, die trauen sich ein Gespräch, und das ist auch einer der Gründe, weshalb ich diesen Film machen wollte, um den Leuten zu zeigen, wie schön das sein kann, sich auf so ein Gespräch auch einzulassen. Und zwar nicht, sich darauf einzulassen so lange zu reden, sondern so lange zuzuhören. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dasS in einem Gespräch die wichtigere Aufgabe die des Zuhörenden ist.
In dem Film spielt auch ein Apfel eine Rolle. er liegt zwischen Mann und Frau auf dem Tisch, während sie reden. An einer Stelle nimmt der Schriftsteller ihn in die Hand und beißt hinein – das ist ja quasi das Symbol für den Austritt aus dem Paradies. Weshalb haben sie das in den Film eingeschrieben?
Wim Wenders: Von mir aus war das nicht vorgesehen, dass Jens Harzer, der den Erzähler spielt, reinbeißt. Ich wollte nur, dass der Apfel zwischen denen liegen bleibt. Und so ein bißchen provokant vor ihnen auf dem Tisch liegt. Und natürlich ist das Symbol des Apfels klar. Und an einer Stelle wollte ich zum Jens zurück schneiden und eine Zäsur schaffen, das ist ja auch wichtig für die Zuschauer, dass man mal ein wenig aufatmen kann, das nicht pausenlos geredet wird. Dann hab ich mit Jens besprochen, gefragt, was machen wir jetzt, ich würde gerne, dass die beiden ein wenig Atem schöpfen können, da sagte er: Dann beiß ich in den Apfel. Das war nicht vorgesehen, aber weil er so überzeugt war, habe ich ihn dann essen lassen. Das hat ewig gedauert bis er endlich wieder den Mund frei hatte. Aber ich fand das dann gut. Wir haben auch eine Version gedreht, bei der er nicht in den Apfel beisst, aber dann hat das hinterher gefehlt. Also hab ich ihn beißen lassen, mit großem Vergnügen. Der war auch nicht mehlig. Dieser Apfel hier ist wahrscheinlich mehlig.
Sie können ja mal reinbeißen ..
Ne, danke (lacht).
Also eine simple Entstehungsgeschichte, die erst im Nachhinein mit Bedeutung aufgeladen wird ….
Wim Wenders: Das hat mir auch so gefallen! Dass ich gedacht habe, naja der Apfel ist sowieso schon da, man soll ja eh schon denken was man will, man darf denken was man will, man muss ja nicht denken was ich vorschlage mit dem Apfel, das ist ja ein offenes Ding dieser Apfel, und wenn er reinbeißt, dann kann man sich vielleicht noch mehr denken. Und es ist ja so eine zivilisationsgeschichtliche Rolle des Apfels zwischen Mann und Frau. Der Apfel befindet sich da ja jetzt auch zwischen uns beiden…
Im Film ist der letzte Satz quasi auch wieder an die Bibel und den Biss in den Apfel, den Austritt aus dem Paradies, angelehnt, Dem das bewusst werden über die eigene Nacktheit folgt. In dem Film heisst es: „es ist merkwürdig nackt zu sein, selbst wenn man alleine ist …“
Wim Wenders: Ich hab natürlich auch ein wenig was hinzugefügt. Im Text kommt immer mal wieder die Idee auf, es könnte der letzte Sommer sein, das letzte Gespräch zwischen Mann und Frau. Auch in dem Roman von Peter „Der Fall“ ist es ja das Ende der Zivilisation, und das der Schriftsteller sich ausdenkt, dass es das Ende der Welt ist und der Zivilisation und eben nicht der Anfang, sondern das Ende der Welt, das habe ich natürlich etwas poiniert. Er versinkt ja auch in einer großen Traurigkeit und in einer großen Verzweiflung und lässt diese Geschichte, die er so schön und zärtlich anfängt, am Schluss untergehen und lässt die beiden nicht zu einem Liebespaar werden, sondern scheitern an dem was sie da eigentlich machen wollen und das habe ich im Film etwas pointierter gemacht als das im Theaterstück der Fall ist.
sie haben ganz am Ende Des films dann aber doch noch mit Hilfe der Musik, eines Liebesliedes, einen positiven Ausblick gegeben … und vielleicht ja dadurch ein Hintertürchen offen gelassen für die Optimisten unter uns ….
Wim Wenders: Ja. Mein Hintertürchen ist mir auch sehr wichtig gewesen. Mein Hintertürchen war in diesem Falle die Jukebox, die für mich eine wichtige Rolle, die Rolle des griechischen Chors gespielt und alles kommentiert hat. Und wenn der Schriftsteller mal eine Blockade hat, aufstehen muss, um sich die Beine zu vertreten, aber auch im Kopf klarkommen muss, darüber nachdenken will, wie soll es weitergehen, das Gespräch, dann drückt er ein Stück in der Jukebox. Und diese Musik gibt ihm eine Antwort vor. Das ist ganz oft mit Musik so, dass man was hört oder mag oder selbst etwas im Kopf hat, was auf eine Art die Antwort zu dem ist, was einen umtreibt. Wie oft ist mir das schon passiert, dass ich was im Kopf hatte, den ganzen Tag etwas in mir summt. Dann denk ich, was ist denn das hier, warum hab ich auf den Song diesen Ohrwurm? Und meistens ist das die Antwort auf eine Frage. Man hört ja sehr oft Musikstücken nicht zu. Bei welchem Beatlessong oder Stones oder Dylan Stück denkt man über den Text nach? Bei Dylan vielleicht schon eher. Und kaum denkt man darüber nach, was singen die denn da, merkt man, dass man unterbewusst manchmal richtig viel daraus zehrt. Und in meinem Film ist in der Musik, die der Schriftsteller da drückt in der Jukebox, hin und wieder auch die Antwort auf alle möglichen Fragen enthalten, die dieses Gespräch zwischen Mann und Frau erfüllen.
Nick Cave hat auch einen Gastauftritt in „Die schönen tage von aranjuez“. Er spielt auf dem piano „Into my arms“. welche ANtwort auf welche Frage gibt sein Lied denn vor?
Wim Wenders: Sein Song kommt, als es zwischen Mann und Frau doch etwas crispy wird und beide irgendwie der Meinung sind, das mit der Liebe ist nichts gewesen, es ist nichts geworden zwischen Mann und Frau, und dann kommt der Nick und singt mit diesem wunderschönen Lied ja ein Hohelied der Liebe. Natürlich gibt es den Nick Cave im Film nicht wirklich. Er ist nicht bei denen, sondern sie lauschen ihrer inneren Stimme, aber was er singt, damit singt er ihnen eigentlich vor: Jetzt habt Euch doch nicht so, es ist doch alles möglich und die Liebe ist doch in jedem Fall möglich und wenn sie passiert, ist sie das Beste was Euch blühen kann.
Wir haben vorhin darüber gesprochen, wie wenig Gespräche noch zwischen Mann und Frau stattfinden und wie schwierig zuhören ist. laut Niklas Luhmann ist Liebe kein Gefühl, sondern ein Kommunikationsmedium das unmögliche Kommunikation möglich macht. Wenn diese Kommunikation aber nicht mehr stattfindet, wie ist es dann um die Liebe und die Paare, wie ist es dann um unsere Gesellschaft bestellt?
Wim Wenders: Liebe macht ganz viel möglich, das Unmögliche macht sie möglich, da gebe ich ihm recht. Vielleicht ist sie kein Medium sondern eine permanente Möglichkeit unseres Lebens. Dinge zu sehen aber auch selbst gesehen zu werden. Fast noch wichtiger als liebend zu sehen, ist sich liebend gesehen zu wissen. Und insofern ist es eine der großen Grundvoraussetzungen Mensch sein zu können, oder fröhlich und guten Gewissens und froh Mensch sein zu können. Ich weiß nicht was uns bleiben würde, wenn es Liebe nicht gäbe, ich weiß überhaupt nicht ob es dann diesen Planeten gäbe, zumindest nicht in meinem Universum. Es gibt Leute, die brauchen es offensichtlich nicht so sehr, in der Politik ist die Liebe längst zum Fenster raus, es passiert da nichts mehr Liebevolles. Cooperations und Regierungen haben auch jeden Zugang zu etwas Liebevollem verloren. Bis auf uns in Deutschland hier, vor einem Jahr, auf einmal haben wir in der Politik und in der Gesellschaft etwas für möglich gehalten, was die ganze Welt für utopisch gehalten hat, eine Willkommenskultur. Plötzlich waren wir die Vorreiter von etwas Liebevollem. Das ist uns auch noch nie passiert, glaube ich, kulturgeschichtlich in Deutschland. Wird ja auch schwer niedergeprügelt wieder. Aber immerhin, es ist passiert, ich bin stolz drauf, und es hat auch mit diesem Apfel zu tun. Ich beiß jetzt doch selbst rein. (Beißt in Apfel). Der ist gar nicht mehlig.
Mehr über Die schönen Tage von Aranjuez erfahrt Ihr in meinem Beitrag für Arte Metropolis !