Artist talk: Zu Besuch bei Francesco Vezzoli II

Francesco Vezzoli zählt zu den schillerndsten Künstlern Italiens und ist bekannt dafür unerschrocken zwischen den verschiedenen historischen Epochen und Genres, zwischen Hoch- und Popkultur, Antike und Gegenwart hin und her zu springen. Auch auf ein künstlerisches Medium will sich Vezzoli nicht festlegen. Film, Skulptur, Leinwand und Performance kommen in seiner Kunst gleichermaßen zum Einsatz. Nur eine Konstante gibt es: neben schönen und vor allem prominenten Frauen taucht auch Vezzoli selbst immer wieder in seinen Werken auf. Im ersten Teil unseres Interviews habe ich mit Francesco über Macht und Marktwert von Kunst gesprochen. Im zweiten Teil hingegen wird es persönlicher … 

Box in a suitcase im Gespräch mit Francesco Vezzoli

Francesco, Du bist nicht nur Künstler, sondern auch selbst oft Teil Deiner Kunst …

Francesco  Vezzoli: Ganz genau!

Weshalb?

Francesco Vezzoli: Videos wie Caligula und Democrazy, aber auch alle Videos die ich vorher gemacht habe, wären ohne meine Teilnahme nicht vollständig. Es wäre so, als ob eine Signatur fehlt. Wenn ich nicht an irgendeiner Stelle in dem Werk präsent bin, dann habe ich das Gefühl, da fehlt etwas. Es fühlt sich dann so an, als könnte das Werk auch von jemand anderen sein. Es könnte auch das Spiel eines großen Regisseurs sein. Es ist die Anwesenheit des Künstlers in diesem Werk, die die Zusammenhänge verdeutlicht, seine Ambitionen sind Teil der Fiktion.

Ist es nicht schwer objektiv zu bleiben, wenn Du selbst Teil des Kunstwerks bist?

Francesco Vezzoli: Natürlich. Ich arbeite immer sehr ästhetisch, also sehe ich zu, dass ich auch gut aussehe! Wenn ich entscheide eine Fotoarbeit zu machen, für die ich fotografiert werde, lasse ich mich zum Beispiel von einem Fotografen ablichten, der auch schon Cover für Interview geschossen hat. Ich suche einen großen, glamourösen Pop-Fotografen dafür aus. Schönheit spielt immer eine Rolle. Auch als wir Fotos von Veruschka gemacht haben, haben wir sehr schöne, glamouröse Bilder geschossen, sehr ästhetisch Bilder. Das liegt aber nicht daran, dass ich ästhetische Fotos, den weniger ästhetischen Fotos vorziehe. Der Punkt ist, dass es in der künstlerischen Debatte eine Negation jeglicher Faszination für den Glamour gibt. Dieser Aspekt interessiert mich.

Du spielst viel mit Klischees, typisch italienischen Klischees, mit Religion, Marken, Diven… wie viel Italien steckt in Deiner Kunst?

Francesco Vezzoli: 100 Prozent! Ich glaube, wir leben in einer Zeit in der alles quasi eine große Minestrone aus Informationen ist, da ist der einzige Weg, etwas Interessantes zu machen, die eigene Geschichte zu erzählen. Marketing kann man global vertreiben, aber nicht die eigene Sensibilität. Man muss eine persönliche Geschichte erzählen, sonst ist es nicht interessant. Ich hab darüber nicht vorher nachgedacht. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich in London war, es war die Zeit der Young British Artists und ich beendete gerade mein Studium, und bin nach London gegangen, als sie gerade auf dem Höhepunkt ihres Erfolges waren. Ich habe gedacht, es muss mir gelingen eine Sprache zu finden, die die gleiche Stärke hat, die gleiche Wirkung, aber die von meinen Wurzeln erzählt, ich bin nicht Sarah Lucas. Sarah Lucas spricht von der Identität der Arbeiterklasse. Ich stamme nicht aus der Arbeiterschicht, ich bin keine Frau. Etwas ähnliches zu tun, das wäre nicht ich gewesen, das ist nicht authentisch, ich kann das nicht faken. Ich musste etwas finden, das zu mir passt.

Und was ist das genau?

Francesco Vezzoli: Meine Arbeiten, das bin ich! Da ist sehr viel von mir drin! Ich spreche von meiner Faszination für die Schönheit, für die Männlichkeit, die Weiblichkeit. Ich habe von meiner Faszination für den Glamour gesprochen, lange bevor das salonfähig war, zu einem Zeitpunkt, als man dafür noch angegriffen wurde. Ich habe für meine Kunst mit vielen Hollywoodschauspielern gearbeitet und es tut mir leid das so deutlich sagen zu müssen, aber die Wahrheit ist, dass ich das schon gemacht habe bevor Hollywood sich für zeitgenössische Kunst interessiert hat. Man hat mich dafür angegriffen, aber ich bin trotzdem froh darüber. Ich bin sehr ehrlich mit dem was ich mache, es sind Sachen die mir am Herzen liegen.

Du scheinst keine Angst vor Kitsch zu haben

Francesco Vezzoli: Nein überhaupt nicht! Ich hab kein bißchen Angst kitschig zu sein. Für eines meiner Projekte habe ich romanische Skulpturen bemalt, damit sie wieder so aussehen, wie sie es ursprünglich getan haben. Wir haben eine bestimmte Vorstellung vom Konzept der klassischen Eleganz, aber so haben diese Skulpturen nie ausgesehen. Diese Form der Klassik, die einem Calvin Klein Werbespot gleicht, die gab es nicht. Die Antike war ein großes buntes, kitschige Gebilde, selbst ein Grab sah aus wie ein Vergnügungspark. Wir haben ein großes Problem mit Kitsch, das hängt mit unserer Ignoranz zusammen. Aber selbst alle großen Skulpturen waren ursprünglich einmal Kitsch.

Ist es wichtig sich ein gewisses Maß Kitsch im Leben zu gönnen?

Natürlich! Das ist ein Problem das wir haben, wir müssen erstmal definieren was Kitsch überhaupt ist – und was Eleganz. Wenn man sich mit der Klassik beschäftigt und damit, was Kitsch ist, dann wird man vielleicht feststellen, das Kitsch das Eleganteste ist, was es gibt.

In Paris hast Du 2012 für Prada ein 24 Stunden Museum geschaffen …

Es sollte museale Identität reflektieren. Miuccia Prada, die meine Arbeit schon lange unterstützt hat mir dabei geholfen ein Museum umzusetzen das nur 24 Stunden existiert. Mit großen Installationen, Skulpturen, Videoarbeiten, Lichtern, und einem großen Einweihungsabendessen für dieses Museum, das es überhaupt nicht gab. Es war die ganze Nacht geöffnet und schloss erst morgens gegen Acht. Dieses Kunstwerk hat sich mit der Tatsache beschäftigt, dass Museen mittlerweile auch zu Marken geworden sind, das Kunstwerke um die Welt reisen und für eine kurze Zeit Unternehmen veredeln. Trotzdem bin ich in meiner Arbeit nie moralisch. Ich werfe Fragen auf, ich gebe keine Antworten. Ich bin schließlich auch ein Teil des Systems. Ich kritisiere niemanden direkt. Aber ich mag es, wenn meine Arbeiten zu Reflexion anregen.

Also ist es wichtiger Fragen zu stellen als Antworten zu geben?

Francesco Vezzoli: Absolut! Ich denke Künstler haben keine Antworten, haben keine Moral, ihr Leben ist per definition unmoralisch und frei. Sie können also gar keine Antworten geben, aber sie können Fragen aufwerfen. Zum Beispiel hab ich kürzlich mit einem Archäologen gesprochen der mir gesagt hat: „Wenn Du diese klassischen Skulpturen anmalen willst, dann ist das für mich nicht akzeptabel.“ Ich habe ihm geantwortet: „Das verstehe ich, aber Du siehst es aus der Sicht eines Akademikers. Ich bin Künstler. Du schreibst darüber, dass diese Köpfe ursprünglich farbig waren, wir haben da einfach zwei total unterschiedliche Perspektiven“.

Findest Du Antworten während du Kunst machst?

Francesco Vezzoli: Nein. Nein, wirklich nicht.

Du spielst in Deinen Arbeiten auch mit Ruhm welche Rolle spielt Ruhm in unserer Gesellschaft ?

Francesco Vezzoli: Sagen wir mal so. Wir wachen jeden Morgen auf und die Welt der Celebrities und der Reality-Shows ist immer noch nicht untergegangen. Seit zwanzig Jahren werden Shows wie Big Brother totgesagt. Und trotzdem schafft es eine Kim Kardashian auf das Cover der amerikanischen Vogue. Diese Kultur ist nicht tot. Diese Kultur wird vom Publikum und von vielen Schauspielern gemocht. Wir müssen lernen zu akzeptieren, das diese Kultur ein Teil unserer Gegenwart ist, in Zeiten von Social Media immer mehr.

Das gilt auch für  die Künstler?

Francesco Vezzoli: Auch die Künstler müssen sich damit auseinandersetzen, dass es so etwas gibt.

Wieso will nur jeder unbedingt berühmt sein?

Francesco Vezzoli: Ich denke letztendlich hat alles mit der Suche nach Liebe zu tun. Alle wollen geliebt werden! Und bewundert werden. Die Leute denken, dass man sie in Zukunft nur noch lieben wird, wenn sie ein Instagram-Profil haben, nur wenn sie Teil dieser großen Reality-Show sind. Kim Kardashian ist die Inkarnation dieses Wunsches. Sie ist die Incardashian, Incarnation. Sie ist nicht wunderschön, sie ist nicht perfekt, aber durch eine Reality Show ist sie eine Ikone geworden, die geliebt wird wie ein großer Popstar und die weltweit auf den wichtigen Titelblättern ist. Da ist es unmöglich einem kleinen Mädchen zu erklären, weshalb es sich nicht wünschen sollte, so zu sein wie Kim Kardashian. Es ist schwierig ihr das zu erklären, weil die Message die die Welt da draussen ihr vermittelt, eine ganz andere ist.

Du spielst auch mit religiösen Motiven, aber die Religion verliert im Gegensatz zu Kim Kardashian zunehmend an Einfluss …

 Francesco: Ich denke der amtierende Papst hat genau das ganz sicher kapiert. Er hat erkannt dass es künftig einer authentischeren Sprache bedarf. Das setzt er um – auf seine Art natürlich und so, wie es seiner Identität entspricht.

Du sagtest gerade alle wollen geliebt werden. Ist Liebe die neue Religion?

Ich glaube nicht. Ich denke es ist eher der Körper, der die neue Religion ist. Natürlich immer verbunden mit der Erfahrung, das man geliebt wird. Es gibt eine Obsession für den Körper, die Schönheit, für die Berühmtheit, meiner Meinung nach resultiert das alles aus seinem einzigen Begehren. Es ist nicht so, dass die Liebe die neue Religion ist, aber das Verlangen danach geliebt zu werden, vielleicht schon. Liebe ist etwas anderes, vielleicht weniger Oberflächliches. Hier geht es nur um das Bedürfnis geliebt zu werden. Ich will geliebt werden, also gehe ich in eine Reality-Show, weil ich bewundert werden will, wenn ich lieben will, dann höre ich mir eine Symphonie von Mahler an. ich liebe seine Musik. Dazu brauche ich keine Reality-Show.

Klaus Biesenbach, der jetzt Deine Show im MomaPs1 kuratiert. hat gesagt Kunst ist die neue Religion, was denkst Du darüber?

Also, wenn Kunst die neue Religion ist, dann sind die Künstler der Stern von Bethlehem. Ich bin kein Heiliger und auch kein Papst. Ich weiß es also nicht. Ich denke Klaus wollte damit zum Ausdruck bringen, dass der Kunst im Moment unfassbar viel Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Aber wir müssen aufpassen, dass vor lauter Aufmerksamkeit nicht die Authentizität von Kunst zunichte gemacht wird.

Wenn Kunst die neue Religion wäre, wer wäre denn dann der Pabst?

Klaus!

Ein Porträt von mir über Francesco Vezzoli war auch auf  Arte Metropolis zu sehen. Dort findet Ihr regelmäßig neue Beiträge über die europäische Kunst- und Kulturszene.

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