“Sie hat die Schauspielerei nicht gewählt, die Schauspielerei wählte sie.”
(Isabella Rossellini über Ingrid Bergman)
Ich traf Isabella Rossellini zum Interview im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten. Die Schauspielerin hatte bereits einen langen Tag hinter sich, der mit einer Pressekonferenz begann, bei der die heute 65jährige von Kameras und Fotografen auf fast beängstigende Weise umringt wurde …
Isabella Rossellini, die schon seit ihrer Kindheit an Skoliose leidet, verspürte an diesem Tag starke Rückenschmerzen, sie war sichtlich erschöpft von dem Interviewmarathon, der auf die Pressekonferenz folgte. Aber als Sprößling von gleich zwei Hollywoodlegenden, Ingrid Bergman und Roberto Rossellini, und als Schauspielerin die sich, unabhängig von ihren berühmten Eltern, selbst einen Namen in Hollywood gemacht hat, gelang es ihr, sich auch unter wenig erfreulichen Rahmenbedingungen professionell zu verhalten.
Isabella Rossellini erinnert sich an Ingrid Bergman
Isabella Rossellini läßt sich in einem Lehnstuhl nieder, nimmt einen Schluck von ihrem Tee und sammelt sich einen Moment, bevor sie anfängt von ihrer Mutter zu erzählen. Anders als viele Kinder berühmter Eltern, spricht sie gerne über ihre Familie, hat zum 100. Geburtstag ihrer berühmten Mutter sogar einen Fotoband über die verstorbene Filmdiva im Schirmer & Mosel Verlag herausgegeben. Es scheint, als ließe die Möglichkeit, so ausführlich über ihre „Mamma“ zu sprechen, wie die gebürtige Römerin Ingrid Bergmann liebevoll – und mit italienischer Betonung – nennt, diesen langen Tag erträglicher für den Filmstar werden.
Ingrid Bergman sonnt sich. 1932. Foto: Privat. Courtesy: Schirmer / Mosel
Ihre mutter ingrid bergman ist eine legende. Zu ihrem 100. geburtstag haben sie ihr zu ehren einen bildband herausgegeben …
Isabella Rossellini: 2006 wäre mein Vater, Roberto Rossellini 100 Jahre alt geworden. Er wurde 1906 geboren, meine Mutter 1915. Ihr 100. Geburtstag war 2015. 2006 habe ich einen etwas surrealen Film gedreht, das war ursprünglich überhaupt nicht beabsichtigt. Eigentlich wollte ich einfach erklären, wie mein Vater bei uns zu Hause so gesprochen hat, aber dann wurde es dieser surreale Film in dem ich die Rolle all dieser berühmten Direktoren gespielt habe: Fellini, Selznick, Charlie Chaplin… Dann haben wir entschieden auch für Mamma etwas zum Jubiläum zu machen, und zwar einen Bildband, da meine Mutter all ihre Fotos aufgehoben hat.
Hatten Sie die Möglichkeit mit Ihr über eine solche Idee zu sprechen, bevor sie starb?
Isabella Rossellini: Ich habe sie sterben gesehen. Beovr sie an ihrem Krebs starb, habe ich sie gefragt, „Mama, weshalb hast Du all diese Papiere aufgehoben? Du bist in Schweden geboren, nach Hollywood gezogen, dann nach Italien übergesiedelt, um mit meinem Vater dort zu leben, nach Frankreich gegangen, wo Du einige Jahre geblieben bist, um Dich schließlich in London niederzulassen“- dort starb sie dann auch. „Weshalb so viele Länder, so viele Umzüge, und alles mit diesen ganzen Sachen?“ Sie antwortete: „Ich bin Teil einer Kunstform die im letzten Jahrhundert noch nicht existierte. Es gab weder Film noch Fotografien, und ich habe mit den besten Künstlern gearbeitet, die es gibt. Ich kann das nicht einfach alles wegwerfen. Diese Dinge haben einen unschätzbaren Wert und ich weiß nicht was ich mit ihnen machen soll. Vielleicht wird es eines Tages ein Archiv geben.“ Das Archiv meiner Mutter ist das umfassendste Archiv einer Hollywoodschauspielerin aus den 40er Jahren. Sie hat in fünf Sprachen gearbeitet und hatte eine Karriere in Hollywood und in Europa. Das Buch ist nicht nur eine Hommage an sie, sondern an eine ganze Kunstform.
Wie beurteilen Sie die KÜNSTLERISCHE Beziehung Ihrer Eltern?
Isabella Rossellini: Meine Mutter hatte einen klassischen Background. Sie benutzte Drehbücher und spielte in Filmen mit Dialogen die gescripted waren, alles war organisiert. Mein Vater arbeitete im neorealistischen Stil, das war zu dieser Zeit revolutionär. Es war schwierig für die Laienschauspieler mit denen er arbeitete, Dialoge zu lernen, es wurde daher viel improvisiert, die beteiligten Schauspieler mussten also spontan reagieren. Es gab keine vorgeschriebenen Dialoge, sie konnten das, was sie sagen sollten, nicht auswendig lernen. Mein Vater glaubte nicht, dass ein Cary Grant einen Fischermann spielen könnte. Und die Authentizität eines Dialoges, die Authentizität von Gesichtern und Gesten, war ihm wichtig, immerhin geht es im Kino am Ende mehr um die Bilder als um das gesprochene Wort. Zu der Zeit als seine Filme rauskamen, galten sie als Avantgarde und meine Mutter wollte umbedingt mit ihm arbeiten. Als Schauspielerin war sie sehr abenteuerlustig und wollte verschiedene Stile ausprobieren und mit den unterschiedlichsten Leuten arbeiten. Das ist ein weiterer außergewöhnlicher Aspekt ihrer Karrierre: Sie hat zwei Kontinente umfasst. Sie hatte eine große Karriere in Hollywood und in Europa.
Welche Rolle spielte Ihre Mutter beim Enstehen dieses Buches?
Isabella Rossellini: Ich habe den Großteil meines Lebens ohne meine Mutter verbracht. Sie starb als ich gerade dreißig wurde und sie hat meine Kinder nicht kennengelernt, konnte meine Karriere nicht mehr verfolgen. Ich denke sie hätte sich sehr über das Buch gefreut, das wir herausgegeben haben, denn sie hat den Grundstock dafür gelegt. Sie dachte, dass all diese Dinge es wert wären, aufgehoben zu werden. Ohne ihre erste Sammlung von Fotos und Briefen, wäre es ein anderes Buch geworden. Vielleicht nur mit Setfotos oder Paparazzibildern, aber sie hat die ganzen Bilder von all diesen großartigen Fotografen aufgehoben, sie war immer sehr nett zu Fotografen. Ihr Vater war selbst einer. Ich denke sie hat Fotografen geliebt.
Das Buch versammelt künstlerisch hochwertige Fotos, zum Beispiel von Robert Capa, aber auch Paparazzibilder …
Isabella Rossellini: Das Buch beinhaltet Paparazzibilder, aber die sind nicht künstlerisch. Es sind interessante Bilder einer Ära, in der Stars sehr indiskret behandelt wurden. Diese Fotos zeigen auch die unangenehme Seite der Paparazzi, die meine Mutter natürlich auch zu spüren bekommen hat. Aber nicht in jeder Stadt. New York hat sie sehr geliebt, bis heute kann man da Leute wie Woody Allen, Al Pacino oder Robert de Niro unbehelligt die Straße entlanglaufen sehen. In Rom hingegen war es sehr schwierig. Man konnte nicht einmal in ein Geschäft gehen, ohne dass sich eine Menschenmasse angesammelt hat oder sich ohne Personenschutz bewegen, aber den hatte sie nicht, sie wollte ohne Security leben. Also musste sie oft zu Hause bleiben. Man musste lernen mit den Papparazzi umzugehen. Sie waren sehr unangenehm, es war schrecklich.
Wie würden Sie den Unterschied zwischen einem Paparazzo und einem Fotografen beschreiben?
Isabelle Rossellini: Der Paparazzo stiehlt ein Bild, der Fotograf hingegen hat ein Verständnis von Licht, kann einen Charakter porträtieren … Es ist einfach etwas völlig anderes.
Hat sich Ingrid Bergman gerne fotografieren lassen?
Isabella Rossellini: Es ist schon möglich, dass es ihr gefallen hat, schon ihr Vater hat sie viel fotografiert. Man muss eine Persönlichkeit darstellen, einen Charakter, Emotionen transportieren. Es ist ungewöhnlich, Fotos von der eigenen Mutter als Kind zu haben, denn damals gab es kaum Kameras. Viele Leute die während des ersten Weltkrieges geboren wurden, so wie meine Mutter, haben also keinen Schnappschuss von sich selbst als Kind, das gab es nur sehr selten. Es ist ein weiterer, ungewöhnlicher Aspekt des Buches. Meine Mutter wurde vom ersten Tag ihres Lebens bis zu ihrem Tod fotografiert, der Bildband erzählt also die komplette Geschichte einer außergewöhnlichen Frau.
Welche fotos wecken ihre liebsten erinnerungen an Ingrid Bergman?
Ich erinnere mich an meine Mutter natürlich nicht nur aufgrund der Fotografien, ich erinnere mich an sie als meine Mutter. Als die Person, mit der ich zusammengelebt habe und die Fotografien fangen einzelne Momente davon ein oder geben mir einen Einblick in ihr Leben, bevor ich geboren wurde. Zum Beispiel die Bilder aus ihrer Kindheit in Europa. Meine Mutter hatte neben ihrem Bett ein Foto von ihrer Mutter, ihrem Vater und einer Tante stehen. Ihre Mutter starb, als sie zwei war. An ihren Vater konnte sie sich noch erinnern, sie hat sehr an ihm gehangen. Er starb als sie vierzehn war – danach lebte sie bei ihrer Tante Ellen. Als Ellen starb, war meine Mutter sechzehn und ein Waisenkind. Diese drei Leute waren auf dem Foto, das neben ihrem Bett stand. Und nachdem sie starb, habe ich auf ihm winzige Lippenabdrücke entdeckt. Ich denke sie hat ihnen jeden Abend einen Gutenachtkuss gegeben.
Würden Sie sagen Ingrid Bergman war eine unabhängige Frau?
Isabella Rossellini: Ich denke nicht, dass sie als Frau sonderlich unabhängig war. Aber sie war unabhängig als Schauspielerin. Sie sagte immer: „Ich habe die Schauspielerei nicht gewählt, die Schauspielerei wählte mich.“ Sie hätte ohne sie nicht leben können. Als Frau war sie nicht unabhängig im heutigen Sinn. Aber als Schauspielerin wusste sie genau, was sie wollte.
Ich habe Isabella Rossellini als Autorin für das Kulturmagazin Arte Metropolis getroffen. Der Beitrag der daraus entstanden ist, ist nicht identisch mit dem Interview und leider inzwischen nicht mehr verfügbar, aber dafür finden sich andere, interessante Beiträge auf der Webseite von Arte Metropolis.