leben im Abenteuer
„Leben Sie, so lange es geht, im Abenteuer.“ Diesen Rat ihres Professors befolgte Heike- Melba Fendels Protagonistin in ihrem ersten Roman Nur die, der 2009 erschien, mit Begeisterung. Das Glück war für sie eine Vermutung, Heimat eine Beschlusssache und die selbstzufriedenen Paare in ihrer Umgebung ein Graus. Statt sich zu binden, tanzte sie in New York, tobte in Berlin und verlor sich an unwirtlichen Orten.
Langeweile im Eigenheim
Sieben Jahre und ein Buch später, in Heike-Melba Fendels neuem Roman Zehn Tage im Februar, ist das Abenteuer der weiblichen Hauptfigur, bei der es sich gut um eine etabliertere Version ihrer ersten Protagonistin handeln könnte, kurz davor einer zähen Langeweile im geschmackvoll eingerichteten Einfamilienhaus am Stadtrand Berlins zu weichen. Wäre da nicht jene entwaffnende Unbeirrbarkeit, mit der die namenlose Frau, mittlerweile selbst in einer Beziehung, dem Leben weiterhin jenen Wahnsinn abtrotzt, den es braucht, um neben dem Mann, der mit seinem wuchtigen Körper das fragile Wohnzimmersofa ausbeult, nicht kläglich einzugehen. Und auf einmal ist die Heimat keine Beschlusssache mehr, sondern nur noch where you come, when you run out of places.
Zehn Tage im Februar
Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet jener das Sofa ausbeulende Mann fort ist, als die Frau zu Beginn der Geschichte nach Hause kommt. Statt zu verzweifeln drapiert sie ihre Haare zum Dutt und zieht eine nachtblaue Robe an, denn es ist Eröffnungsabend der Berlinale. Der Mann ist weg, aber die Filme kommen und mit ihnen die Regisseurin Jane Campion, Oscargewinnerin und der einzige Mensch, dem sich die Frau je wirklich verbunden gefühlt hat. Statt der erwartbaren Herzschmerzgeschichte entspinnt sich eine entwaffnend ehrliche Bestandsaufnahme, der am Ende nur eines standhält: Die Liebe der Frau zum Kino.
Während in Nur die noch Heike-Melba Fendels Schilderungen über des „Mädchens“ Kölner Jugendzeit im grün-furnierten Reihenhaus, die gescheiterte Ehe der Eltern, der Arbeitslosigkeit des antisemitischen Vaters, dem kriegsbedingt beide Unterschenkel amputiert wurden, sowie die Begegnungen mit und Beziehungen zu Männern im Mittelpunkt standen, rückt Zehn Tage im Februar, ebenfalls zwischen Köln und Berlin angesiedelt, die Frauen in den Fokus.
Statt von übergriffigem Verhalten des anderen Geschlechts, von „zudringlichen Fremden an unwirtlichen Orten“ – und Verhältnissen, durch die die Hauptfigur „hindurchging, wie durch die weiteren guten und bösen Jungs auch, denen sie als Vorlage dienen sollte“, erzählt sie von Freundschaften zwischen Frauen und von den Gegebenheiten mit denen diese ringen. Von Sarah, die als vorübergehender Gast bei der Frau einzieht und keinerlei Interesse am Leben dieser zu zeigen scheint, von der Fotografin Marianne, die sich in der Schwangerschaft von der Frau und ihrem Lebensentwurf entfremdet, von einer Polizistin, die sie Abend für Abend zurechtweist, wenn Sie, bei dem Versuch noch rechtzeitig den Kinosaal zu erreichen, wieder einmal auf dem Fahrrad ohne Licht und mit hohem Tempo eine Reihe roter Ampeln überfährt. Vor allem aber erzählt sie immer wieder von der Auseinandersetzung mit Jane Campion und ihrem Werk.
„Eigentlich geht es ja nicht darum, wie etwas beginnt, sondern auf welche Weise wir verstrickt bleiben. Ob wir damit unseren Frieden machen können. Und was mit uns passiert, wenn das nicht gelingt“, sagt die berühmte Regisseurin in dem Buch zu der Frau, die sich nur für Anfänge interessiert und die doch selbst so treu verstrickt ist, in eine Vielzahl, sich über Jahre auffächernde Verbindungen.
Selbstverleugnung im Doppelpack
Nur die, den glamourösen Schauplätzen nur wenig Aufmerksamkeit widmend, war die Betrachtung eines – unter mitleidigen Blicken der Außenwelt – praktiziert, lange den „ewigen Junggesellen“ vorbehaltenen Lebensentwurfes, der Entwurf eines unabhängigen, selbstbestimmten Lebens. Dass das wiederum nicht ausschließlich freiwillig geschah und durchaus mit Phasen der Einsamkeit einherging, lag auf der Hand. Genauso, wie, die Tatsache, dass das Mädchen in diesem Roman eben jene Einsamkeit in Kauf nahm, um dem zu entgehen, was ihrer Meinung nach die meisten Paare praktizieren: Selbstverleugnung im Doppelpack. In Zehn Tage im Februar testet die Frau diese Selbstverleugnung aus. Mit mäßigem Erfolg. Und wirft die Frage nach einer möglichen Alternative auf.
Vom Dilemma moderner Beziehungen
Die Parallelen zwischen dem Lebenslauf Heike-Melba Fendels und denen ihrer Protagonistinnen sind auffällig. Was aber erdichtet, was wahr ist, ist für das, was sich für uns aus der Lektüre von „Zehn Tage im Februar“ ergibt, unerheblich. Wesentlich ist, dass beide Bücher vom Dilemma moderner Beziehungen erzählen, die sich grundsätzlich anders entwickeln, als uns von der Unterhaltungsindustrie vorgegaukelt wird. Sie sind zumeist, wenn auch nicht weniger intensiv, so doch oft komplizierter, banaler und schmerzhafter als in den literarischen und filmischen Vorlagen und ziehen nicht selten die Erkenntnis nach sich, dass in der Liebe eins und eins nicht unbedingt immer zwei ergibt.
Wie schon der Vorgänger erzählt auch Zehn Tage im Februar davon, dass Liebe in modernen Zeiten, in denen die Palette der Kontakte „immer größer, weiter, bunter“, somit aber auch „flüchtiger, leichter, dem Fassadenspiel verhaftet“ wird, in Zeiten in denen die Bindungen zu „oberflächlichen Beziehungen werden, die sich in ihrer Beschaffenheit durch ein hohes Maß an Fragilität auszeichnen“, nicht mehr als rettende Insel fungiert. Es erzählt auch davon, dass Partnerschaften keine Garantie für einen Rückzugs- und Schutzraum mehr darstellen.
Heike-Melba Fendels Geschichten sind Liebesgeschichten, die nicht aufgehen, scharfsinnig, liebevoll und schonungslos zugleich. Es sind Geschichten die kein Happy End haben. Zumindest keines zu zweit.
Heike-Melba Fendel: Zehn Tage im Februar. Blumenbar Verlag